Erwerbungen für die Sammlung des Museums

Der Fall F.W.Lindner

Vor über 170 Jahren, am 27. September 1850, wurde in Halle an der Saale auf einem Hügel vor der Heide die letzte öffentliche Hinrichtung an einem Delinquenten in Halle vollzogen. Der verurteilte Gürtler F.W. Lindner war ein Schkeuditzer!

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Im April konnten wir diesen originalen Druck ankaufen, in dem der Prozess im November 1849 mit der gesamten Beweisaufnahme, der Urteilsfindung und dem Schuldspruch auf 15 Seiten ausführlich beschrieben ist.

Der Gürtler Friedrich Wilhelm Lindner, Bürger in Schkeuditz, hatte am 24. Juni 1849 seinen Schwiegervater, den 76 jährigen Tischlermeister Johann August Lauck in Halle besucht. Bei dieser Gelegenheit vergiftete er das Essen der Familie mit Arsen in der Hoffnung, mit der Erbschaft an einen Teile des schwiegerväterlichen Vermögens zu gelangen, um sich damit seiner drückenden Geldsorgen entledigen zu können. Bereits einige Jahre zuvor hatte er eine Zuchthausstrafe wegen Geldälscherei abgesessen.

Er wurde durch die Indizien der Tat überführt, seine Schuld konnte jedoch nicht zweifelsfrei bewiesen werden und so fiel das Urteil der Geschworenen auch recht knapp aus: 5 Stimmen für unschuldig und 7 Stimmen für schuldig! Der Richter bestätigte den Schuldspruch und das Urteil lautete: "Verlust der Nationalkokarde, Tragung der Prozesskosten, Schleifung zum Richtplatz und Strafe durch das Rad von unten nach oben." Letzteres mutet heute mittelalterlich an, stand aber zu dieser Zeit so noch als Strafmaß für Giftverbrechen mit heimtückischen Motiven im Strafgesetzbuch. Das Urteil wurde jedoch vom König auf eine normale Enthauptung ohne die Schleiftung zum Richtplatz herabgesetzt.

Hier der Bericht darüber aus dem Halleschen patriotischen Wochenblatt (Quelle: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/zd/periodical/pageview/9360029):

HWB 1850 I klein

HWB 1850 II klein

Ein weiterer Bericht darüber erschien rund fünfzig Jahre später in einer nicht näher benannten Halleschen Tageszeitung:

Am 27. September 1850 wurde der Gürtlermeister Lindner aus Schkeuditz wegen des an seinem Schwiegervater begangenen Giftmordes „auf einem hochgelegenen Hügel unfern der Heide“ öffentlich enthauptet. Die Hallenser waren zu tausenden hinaus gepilgert, um das anzusehen, was seit 1816 nicht mehr zu sehen gewesen war. Der Delinquent wurde des Morgens um 7 Uhr auf einem Leiterwagen auf einer langen Kiste – seinem Sarge – festgeschnallt und von Soldaten eskortiert zur Richtstätte gefahren. Ursprünglich hatte das Urteil dahin gelautet, das der Verbrecher „mit dem Verwirken der Nationalkokarde zu bestrafen, zur Richtstätte zu schleifen und mit dem Rade von oben herab vom Leben zum Tode zu bringen sei.“ Wie aus dem dunkelsten Mittelalter klingt das Urteil, bis auf die Nationalkokarde, aus welcher Lindner sich nicht viel gemacht haben dürfte. Es wurde dahin abgeändert, daß unter Wegfall der Schleifung zur Richtstätte der Mörder durch Enthaupten seinen Tod fand.

Der damalige Physiologe Professor Wilhelm Volkmann führte nach dem Fallen des Kopfes mit Bewilligung des Gerichts ein merkwürdiges Experiment aus, um festzustellen, ob ein geköpfter noch Lebenszeichen von sich geben könne. Er sprang nach dem Fallen des Kopfes sofort hinzu, nahm ihn, hielt ihn an den Rumpf und schrie dem Kopf ins Ohr: „Lindner, hören Sie mich?“ Alles lauschte gespannt – Lindner antwortete jedoch nicht. Er war endgültig tot und wurde in seiner Kiste zur Stadt zurück gebracht und in der frühe des Hinrichtungstages begraben. Bis zum letzten Tage hatte er die Tat geleugnet, doch am Morgen des letzten Tages hatte er die Tat gestanden.

Auf dem Hügel vor der Heide sind später drei Bäume gepflanzt worden, und heute noch heißt der Hügel, auf dem die letzte öffentliche Hinrichtung vollzogen wurde, „Lindners Höhe“.

Dass der "Verlust der Nationalkokarde" ein Teil der Strafe war, empfenden aber auch schon von Zeitgenossen als merkwürdig. Das Satireblatt "Die Geißel" schrieb 1849: "(Non plus ultra von Verurtheilung). Unlängst wurde der Giftmischer, früher Falschmünzer, Gürtlermeister Lindner aus Schtruditz, weil er seinen Schwiegervater durch Gift ermordet hatte, vom Schwurgericht zu Halle zum Tode durch das Rad von oben nach unten, Schleifung zum Richtplatze und hinten nach - nun kommt das Schrecklichste - zum Verluste der preußischen Nationalkokarte verurtheilt. - - Man glaubt mit Zuversicht, daß der Inquisit dies nicht überleben werde."

Dass man "Schkeuditz" im fernen Wien nicht recht zu schreiben vermochte, mag im Angesicht der Schrecklichkeit den ganzen Falles verzeihlich sein.